Mehmet & Kazim
Le Peep-Show
16.12.2020 – 25.2.2021
© Mehmet & Kazim & Kunstverein Friedrichshafen, Fotos / Photos: Frank Kleinbach, Kilian Blees
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Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Um Kunst auch außerhalb der kommerziellen Galerien und des digitalen Raums während der Schließung unserer Türen physisch erleb- und erfahrbar zu machen, hat das Künstlerduo Mehmet und Kazim Akal mit Le Peep-Show eine Ausstellung konzipiert, die zumindest und in jedem Fall durch die Fenster des Kunstvereins zu sehen ist.
In ihrer gewohnten Manier erweitern sie auch für Friedrichshafen den herkömmlichen Malereibegriff, indem sie ihre Bilder aus der zweidimensionalen Fläche in den Raum hineinwirken lassen und so kulissenartige Tableaus schaffen, die den Betrachter in ihre weiß-rote Welt entführen. Diese ist eng mit den Persönlichkeiten beider Künstler verknüpft und den zahlreichen Gemeinsamkeiten ihrer Biografien. Angefangen bei der Tatsache, dass sie Cousins sind und den Nachnamen Akal teilen. Aus dem Türkischen übersetzt bedeutet dieser Weiß-Rot, was Grund genug dafür war, die Palette all ihrer bisherigen Werke konsequent auf diese beiden Farben zu beschränken.
Die künstlerische Inszenierung des familiären Bundes erfolgt durch ihr Alter Ego, die Kissing Cousins, die zum festen Figurenrepertoire gehören und auf der Leinwand, als animierte Knetfiguren in Videoarbeiten oder auch in Form von Mehmet und Kazim selbst, gekleidet in roten Adidas Trainingsanzügen und Superstars, in Erscheinung treten können. Dass ihre künstlerischen Wurzeln im Hip Hop, Breakdance und Graffiti liegen, zeigt das wiederkehrende Bildpersonal ebenso wie Zitate aus Songtexten und verschiedene Symbole, die zudem auf den Einfluss von Comics verweisen. Und dann natürlich noch die vielleicht wichtigste aller Gemeinsamkeit: Beide sind Kinder türkischer Gastarbeiter, was auf humorvolle Weise als gegebene Realität im Subkontext ihrer Werke und der Gesamtinszenierung der Kissing Cousins mitschwingt. Nicht zu unterschätzen ist außerdem der Einfluss zahlreicher kunsthistorischer Vorbilder, allen voran Philip Guston, aber auch André Butzer, Martin Kippenberger, Markus Oehlen und Albert Oehlen sowie Peter Saul.
In Le Peep-Show zeigen Mehmet und Kazim Akal eine Auswahl aus ihrer Serie Feinste Künstleraquarelle, die während eines Urlaubs an der türkischen Ägäis zunächst auf Papier entstanden ist und in den vergangenen Monaten um großformatige Arbeiten mit Öl auf Leinwand erweitert wurde. Vom Boden bis zur Decke installiert, breitet sich ein comicartiges Panorama aus, das jedoch keine lineare Geschichte erzählt. Die einzelnen Bilder repräsentieren viel eher Symbole, die je nach Rezipienten und persönlichen Erfahrungswerten unterschiedlich interpretiert werden können.
Bereits der Titel Feinste Künstleraquarelle deutet an, dass sich die Kunst des Malerduos thematisch nicht in den eigenen Biografien erschöpft. Mit immerwährendem Humor werden der Kunstbetrieb und seine immanenten Strukturen und Codes in Augenschein genommen. So könnte der Titel der Serie dem Newsletter einer Galerie entnommen sein, die eben „feinste Künstleraquarelle“ zum Verkauf anpreist. Die Ernsthaftigkeit des ökonomischen und kommerziellen Aspekts des Kunstbetriebs wird somit von den beiden Akal-Jungs immer wieder ironisch gebrochen.
Ähnlich verhält es sich auch mit den Arbeiten Selbstportrait #4 (2020) und Zwei Wilde auf dem hohen Ross #2 (2020), in denen sie sich klassischer Sujets bedienen. Anstatt eines Gesichts, ist in Selbstportrait #4jedoch ein stilisierter Po zu sehen. Zwei Wilde auf dem hohen Ross #2 bricht insofern mit historischen Reiterbildern, als dass das Pferd alles andere als herrschaftlich aussieht und eher an Jolly Jumper, das Pferd von Lucky Luke, erinnert. Auch der Titel Zwei Wilde auf dem hohen Ross #2 lässt vermuten, dass das hohe Ross eine Personifikation der Bildenden Kunst ist und so mischen sich die eigenen Biografien mit den Konventionen des Kunstbetriebs, mussten die beiden Künstler doch bereits während ihrer Zeit als Studenten an der Münchener Kunstakademie feststellen, dass innerhalb der Bildenden Kunst der künstlerische Gehalt von Graffitis eher gering eingeschätzt wird.
Dass Humor und Ironie Stilmittel der beiden Maler sind, wird aber auch deutlich, wenn sich die zwei in Meanwhile at the Beach (2020) im Meer stehend mit einem Fes auf dem Kopf selbst porträtieren. Dazu muss man wissen, dass der Fes im Osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts durch eine Reform eingeführt wurde, die dem traditionellen Turban einen am Westen orientierten Kleidungsstil entgegensetzen sollte. Heutzutage ist der Fes wohl wie kein anderes Kleidungsstück ein Symbol für das Osmanische Reich und den Orientalismus, sodass sich – ironisch genug – Intention und Wirkung im historischen Verlauf umgekehrt haben. Hier zeigt sich außerdem, dass Mehmet und Kazim Vorurteile und Klischees, die ihnen beziehungsweise ihrer Identität als Deutsch-Türken entgegengebracht werden, nicht mit einem moralischen Zeigefinger begegnen, sondern dass sie diese mit Kussmund und schelmischem Witz als das entlarven, was sie sind – eben nichts mehr als eigentlich längst überholte Stereotypen.
Neben der inhaltlichen Fülle der Werke, gilt ein großes Interesse des Duos rein malerischen Fragestellungen und so wird das Medium kontinuierlich zu allen Seiten hin erweitert und auf die Probe gestellt. Mal, wie in Le Peep-Show, durch raumgreifende Installationen, mal durch Wandmalereien, Projektionen oder auch durch animierte Virtual Reality-Videoarbeiten. Außerdem lässt sich bei der Verwendung von unterschiedlichen Malstilen und -materialien eine große Experimentierfreude erkennen. Motive werden mit Stoffen auf die Leinwände collagiert und einem pastosen, grafisch anmutenden Farbauftrag früherer Bilder wird nun mit den Feinsten Künstleraquarellen ein hauchzarter, äußerst malerischer Duktus entgegengestellt. Immer wieder wagen Mehmet und Kazim Akal so aus ihrer eigenen Position und Erfahrungswelt heraus einen Blick auf die Malerei und das große Ganze. Wir freuen uns sehr, mit Le Peep-Show die erste institutionelle Einzelausstellung des Künstlerduos präsentieren zu können.
Mehmet Akal (*1991) und Kazim Akal (*1981) haben ihr Studium der Malerei, Skulptur und Grafik an der Akademie der Bildenden Künste München bei Prof. Markus Oehlen absolviert. Ihre Werke wurden u.a. in der Pinakothek der Moderne, München, im Haus der Kunst, München, im Kunstverein Marburg, bei Ansbach Contemporary, Ansbach und Syker Vorwerk, Syke gezeigt. 2019 haben sie im Rahmen ihres Diploms den Preis des Akademievereins erhalten und 2020 ein Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds.
Text / Kuratorin: Hannah Eckstein
In order to make art experienceable beyond the digital space during the temporary closure of our doors, the artist duo Mehmet and Kazim Akal has, with Le Peep-Show, conceived an exhibition, which at least and in any case can be seen through the window front of the Kunstverein Friedrichshafen.
In their usual manner Mehmet and Kazim expand the conventional concept of painting by letting their pictures work their way out of the two-dimensional surface into the space, creating backdrop-like tableaus, which whisk the viewer away into their red and white world.
This world is closely linked to the personalities of both artists and the numerous similarities in their biographies. Starting with the fact that they are cousins and share the surname Akal, which means white-red in Turkish. This meaning was reason enough to consistently limit the palette of all their works up to date to solely these two colours. The artistic staging of their family alliance takes place through their alter egos, the Kissing Cousins, who constantly reappear in their works. They can show up painted in oil on canvas, as animated plasticine figures in video works, or in the shape of Mehmet and Kazim themselves, dressed in red Adidas tracksuits and Superstars sneakers.
The fact that their artistic background is rooted in Hip Hop, Breakdance and Graffiti is shown by the formal appearance of the recurring image staff as well as by quotations from song lyrics and various symbols, which moreover point to the influence of comics. And then, of course, there is perhaps the most important similarity of all: Both are children of Turkish guest workers, what resonates humorously as a given reality in the sub-context of their works and in the overall staging of the Kissing Cousins. The influence of numerous art historical role models shouldn’t be underestimated as well. Above all Philip Guston, but also André Butzer, Martin Kippenberger, Markus Oehlen and Albert Oehlen as well as Peter Saul.
In Le Peep-Show, Mehmet and Kazim show a selection from their series Finest Artist Watercolours(2020), which was initially created on paper during a holiday at the Turkish Aegean. In recent months the series has been expanded to include large-format works in oil on canvas. Installed from the floor to the ceiling, a comic-like panorama spreads out but does not tell a linear story. The individual paintings rather represent symbols, which can be interpreted differently depending on the recipient and his personal experiences.
The title Finest Artist Watercolours already indicates that the art of the painter duo isn’t thematically exhausted in their own biographies. The art world and its immanent structures and codes are scrutinised with perpetual humour as well. The title of the series, for example, could have been taken from the newsletter of a gallery which offers "finest artist watercolours" for sale. The seriousness of the economic and commercial aspect of the art business is thus repeatedly ironically broken by the two Akal boys.
Similarly the works Self-Portrait #4 (2020) and Two Savages on The High Steed #2 (2020) make use of classical art historical motifs. Instead of a face, however, Self-Portrait #4 shows a stylised bottom. Two Savages on the High Steed #2 breaks with historical equestrian imagery in a way that the horse looks anything but stately and is more reminiscent of Lucky Luke’s horse Jolly Jumper. The title Two Savages on the High Steed #2 also suggests that the high steed is a personification of the Fine Arts and so the biographies of the two painters mix with the conventions of the art world – already during their time as students at the Munich Art Academy, they had to realise that the artistic value of graffiti is rated rather low within the realm of the Fine Arts.
The fact that humour and irony are used as stylistic devices by Mehmet and Kazim becomes clear, when they portray themselves in Meanwhile at the Beach (2020) standing in the sea with ottoman Fezs on their heads. It is important to know that in the Ottoman Empire, the Fez was introduced as part of a reform in the 19th century. This reform was intended to counter the traditional turban with a dress code oriented towards the West. Today, the Fez is probably the symbol par excellence for the Ottoman Empire and Orientalism like no other garment, so that – ironically enough – intention and effect have been reversed in the course of history. The work also shows that Mehmet and Kazim don’t confront prejudices and clichés about themselves or their identity as German-Turks with a moralising finger, but that they expose them with a kissing mouth and mischievous wit for what they are - nothing more than outdated stereotypes.
In addition to the rich content of their works the duo keeps on examining purely painterly questions and so the medium is continuously put to the test and expanded in all directions. Sometimes, as in Le Peep-Show, through extensive spatial installations, other times through wall paintings, projections or animated virtual reality video works. A great keenness for experimentation can also be seen in the use of different styles and materials. In some series the motifs are collaged with fabrics onto the canvases, while in the Finest Artist Watercolours the impasto, graphic-like colour application of earlier paintings is contrasted with a gossamer, extremely painterly style. In these ways Mehmet and Kazim Akal investigate the nature of painting again and again and at the same time dare to look at the bigger picture from their very own perspectives. The Kunstverein Friedrichshafen is pleased to present with Le Peep-Show the first institutional solo exhibition of Mehmet and Kazim Akal.
Mehmet Akal (*1991) and Kazim Akal (*1981) studied painting, sculpture and graphic arts at the Academy of Fine Arts Munich under Prof. Markus Oehlen. Their works have been shown at the Pinakothek der Moderne, Munich, Haus der Kunst, Munich, Kunstverein Marburg, Ansbach Contemporary, Ansbach and Syker Vorwerk, Syke, among others. In 2019 they received the prize of the Akademieverein on the occasion of their diploma and in 2020 a working scholarship from the Stiftung Kunstfonds.
Text / Curator: Hannah Eckstein