Anna Wohlgemuth, Portrait einer geraden Linie
20.1.2018 - 18.3.2018
Kurator: Julian Denzler
Anna Wohlgemuth
Portrait einer geraden Linie
„Portrait einer geraden Linie“ von Anna Wohlgemuth ist
eine raumgreifende Installation, die Elemente aus Literatur,
Theater und Bildender Kunst vereint. Ausgangspunkt
dieses Projekts war die Auseinandersetzung mit
der geraden Linie. Gerade Linien stehen für Direktheit,
Rationalität und Effizienz. Ihre klare Form wurde sogar
zum Namensgeber für einen Charakterzug: die Geradlinigkeit.
Die gerade Linie ist ein kulturelles Konzept,
das nur in menschlichen Entwürfen auftaucht. Kaum
verwunderlich, dass sie auch für die geografische Erschließung
der Welt von zentraler Bedeutung waren.
Der Roman „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann
war der inhaltliche Fixpunkt der Projektrecherche
und taucht fragmentarisch immer wieder im Ausstellungsraum
auf.
Das Spiel mit Farben und Material sowie die Arbeit mit
Lichtstimmungen ziehen sich durch die Räumlichkeiten.
Linien werden dabei zu Flächen, die sich letztlich wiederum
zu Körpern zusammenfügen. Die Auseinandersetzung
mit geometrischen Formen führt vor dem
Hintergrund der Romanvorlage zu einer abstrahierten
Auseinandersetzung mit Landschaften. Statt einem klassischen Ausstellungsarrangement mit Fotografien,Malereien und Skulpturen wird die atmosphärische Inszenierung der Räume zum eigentlichen Werk. Wer
sich im Raum bewegt, begibt sich auf eine Wanderung
mit Ausblicken auf kunsthistorische Formationen:
Das schwarze Quadrat, wie es an der Stirnseite des
Hauptraums zu sehen ist, tauchte in der Kunstgeschichte
beispielsweise bereits prominent als Ikone der russischen
Avantgarde von Kasimir Malewitsch auf. Die Farbverläufe
im oberen Stock erinnern mit ihrer klaren horizontalen
Ausrichtung an den Übergang von Land und
Meer – oder an die dynamische Umsetzung eines Gemäldes
von Mark Rothko.
Anna Wohlgemuth ist Bühnenbildnerin und Szenografin.
Sie arbeitet hauptsächlich für Theater- und Tanzproduktionen.
Die Räume, die sie schafft, sind immer für das
Zusammenspiel mit Menschen konzipiert (zumeist den
Tänzer_innen und Schauspieler_innen). Wenn der Raum
zum begehbaren Werk wird, lösen sich die räumlichen
Grenzen zwischen künstlerischen Arbeiten und ihrem
Kontext auf. Jede_r Besucher_in wird zu einem mobilen
Element des gesamten Settings. Anna Wohlgemuth bezeichnet
ihre Rolle als „letztes Puzzleteil“, das die Installation
erst vollständig werden lässt. Denn was wäre Theater,
was wäre Kunst ohne Betrachter?
Anna Wohlgemuth (*1987 in Schliers) lebt und arbeitet
als Szenografin und Bühnenbildnerin in Zürich. Für ihre
Szenografie zu „i-GOD oder wie ich lernte, die Sünde zu
lieben“ erhielt sie 2015 den Roman-Clemens-Preis.
Text: Julian Denzler