Beate Engl, out of office
2. Juli bis 4. September 2016
Kurator: Jörg van den Berg
Mit sozialistischem Gruß (Aus Ramturs Nachlaß)*
Erster Brief:
Lieber Kollege Direktor! Heute will ich Ihnen schreiben. Ich bin Ramtur aus der Dreherei und möchte Ihnen einen Vorschlag unterbreiten: Schicken Sie mir bitte jeden Monat mein Gehalt. Ich möchte ein Jahr lang nicht arbeiten. Viele Grüße, Kollege Ramtur
Erste Antwort:
Lieber Kollege Ramtur! Ich habe Ihren Brief bekommen. Was soll aus unserer Fabrik werden, wenn alle so denken, wie Sie? Kommen Sie sofort zur Arbeit. Kollege Direktor
Zweiter Brief:
Lieber Kollege Direktor! Ich möchte Ihnen noch einen Vorschlag machen. Wenn ich ein Jahr nicht arbeite, hat die Fabrik einen Verlust von 2376 Stunden. Das sind genau 99 Tage. Ein Jahr hat 52 Sonnabende und 52 Sonntage. Wenn ich im folgenden Jahr jeden Sonnabend und jeden Sonntag 24 Stunden arbeite, haben Sie dazu noch einen Gewinn von 120 Stunden, die ich dem Betrieb schenke. Herzlich, Kollege Ramtur
Zweite Antwort:
Lieber Kollege Ramtur! Das geht alles nicht. Auch ich möchte manchmal nicht arbeiten und muss morgens im Bett weinen. Ich hab auch nicht mehr viel Geduld mit Ihnen. Kollege Direktor.
Dritter Brief:
Lieber Kollege Direktor! Ich möchte mich mit meiner Frau unterhalten über a) meine Frau b) mich c) unsere Ehe d) Kunst und Fernsehen e) Haushalt, Reparaturen, Neuanschaffungen f) unsere Kinder (Zustand und Perspektive) g) das Leben, Qualifizierung, Weiterbildung
Da ich bisher um 17 Uhr nach Hause kam und keine Konzentration hatte, brauche ich für die genaue Analysierung der Probleme ein Jahr. Ich bitte Sie das einzusehen. Kollege Ramtur
Dritte Antwort:
Kollege Ramtur! Sie kommen jetzt schon acht Wochen lang nicht zur Arbeit. Das habe ich gemeldet. Sie werden Bescheid bekommen. Sie haben mich dazu gezwungen.
Vierter Brief:
Herr Direktor! Ich bin jetzt für 15 Monate in einer verschlossenen Weberei tätig. Hiermit teile ich Ihnen mit, dass sich eine Fortführung unseres Briefwechsels damit erübrigt. Herr Ramtur 57382
Wir leben in einer Krise des Politischen. Mit der Ausstellung der Münchner Künstlerin Beate Engl lädt sich der Kunstverein zu einem politischen Raum auf. Engls Interventionen gelingt es in bemerkenswerter Präzision, ohne jede Penetranz und durchaus nicht ohne Komik die mittlerweile häufig vergessenen humanitären Grundlagen unseres Gemeinwesens wieder ins Bewusstsein zu holen. Ihre Arbeiten konfrontieren die Besucher mit einer Verbindlichkeit, die Haltung einfordert. Nicht die großen Themen sind es, die Engl kommentiert, sondern die Verhältnisse zwischen der/dem Einzelnen und den gesellschaftlichen Bedingtheiten. Ihre Ausstellung ›out of office‹ sensibilisiert z.B. sehr nachhaltig dafür, dass »acht Stunden noch kein Tag sind«**. Für ein demokratisches und nicht nur ökonomisches gesellschaftliches Selbstverständnis braucht es mehr als den arbeitenden Menschen. Es braucht den Austausch zwischen den Menschen zu den Themen, die Ramtur auflistet, und zu einigem mehr. Um es mit der Lyrikerin Barbara Köhler zu sagen: »Es braucht ein ich, um wir zu sagen,« (JvdB)
* Thomas Brasch: Vor den Vätern sterben die Söhne. Berlin (Rotbuch) 1977, S. 88–90
** Frei nach Rainer Werner Fassbinder: Acht Stunden sind kein Tag. Eine Familienserie, Westdeutscher Rundfunk, 1972/73
Biografie: Beate Engl
*1973 in Regen, lebt und arbeitet in München
2001–2004 MFA Public Art and New Artistic Strategies, Bauhaus Universität Weimar und School of the Art Institute of Chicago
1994–2001 Freie Kunst / Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste München bei Prof. Olaf Metzel, Meisterschülerin, Diplom
Stipendien/Preise (Auswahl)
2014 Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds Bonn 2012 Bayerischer Kunstförderpreis 2009 Förderpreis Bildende Kunst der Stadt München 2008 USA-Stipendium des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst
Einzelausstellungen (Auswahl)
2015 Standarte, Erlöserkirche München 2014 APPARAT, Badischer Kunstverein, Karlsruhe 2010 every sound alarms, 1 Shantiroad, Bangalore 2008 The Blob. Nothing can stop it!, Kunstraum München 2007 A Perfect World, boots contemporary art space, St. Louis 2004 Rote Zelle, Nr. 3, München
Gruppenausstellungen (Auswahl)
2016 die Gabe, Magazin4, Bregenz (noch bis 21. Aug.); Galerie der DG, München 2015 If you tell a story ..., Maus Habitos, Porto 2014 Collaboration_7: Munich – Mostar – Belgrade | Playtime, Kunstbau Lenbachhaus, München 2013 Collaboration_6: All ready made in China, Fei Contemporary Art Center, Shanghai | Crossing Media, Villa Merkel, Esslingen | Netolerantnost/normalnost, Galerija Nova, Zagreb u. Grazer Kunstverein 2012 Top View 29.53 ft., mit Nevin Aladag, Rindermarkt, München 2011 Gira la testa, Galleria Gentili, Prato, Italien | Luftkunst, Zeppelinmuseum Friedrichshafen 2010 ready made today, Steinle Contemporary, München
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