Janina Frye
Looping
24.9. – 13.11.2022
© Janina Frye & Kunstverein Friedrichshafen, Fotos / Photos: Lukas Giesler
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Tears, sweat, blood, and breath is floating through drains into an entangled network of loopings of thoughts, emotions, senses, tension and release generating bewildered realities. Phantoms and spirits those who transcend the material order live in this breath of thoughts, manifesting and erecting the skeletons of new physical worlds.
Janina Frye
Die künstlerische Praxis von Janina Frye gleicht der einer Forscherin, die den menschlichen Körper und die Art und Weise wie er mit seiner Umwelt verbunden ist, mit Hilfe eines konzeptuellen Ansatzes untersucht. Somit repräsentieren ihre Skulpturen und Installationen auch ein Konzept des Menschen – ein sich kontinuierlich in Transformation befindliches System, dass den Körper durch Verbindungen und Verflechtungen mit der Außenwelt verknüpft. Sie untersucht die Idee, dass die menschliche Haut keine Grenze, sondern eine Schnittstelle zur Außenwelt ist und fragt, inwiefern die moderne binäre Logik zwischen Mensch und Objekt, belebt und unbelebt, sowie zwischen Natur und Kultur im 21. Jahrhundert durcheinandergebracht wird. Darüber hinaus erforscht sie, wie sich verändernde Lebensrealitäten unterschiedliche Entfremdungsprozesse unserer Körperwahrnehmung vorantreiben und inwiefern immaterielle und imaginäre Entitäten, Fiktionen, Phantome und emergente Prozesse diese Entfremdung beeinflussen.
Oft verwendet sie ihren eigenen Körper, also psychologische und physiologische Vorgänge, als Inspiration und geht der Frage nach, wie sich Gedanken, Empfindungen und emotionale Zustände auch körperlich zeigen. Sie übersetzt ihre subjektiven Sinneseindrücke, ebenso wie deren physische Auswirkungen, in materielle Bedingungen und manifestiert auf diese Weise das Unsichtbare und das Nicht-Greifbare in ihren Arbeiten. Ausschlaggebend für diese Herangehensweise ist die Erkenntnis, dass es eben zunächst Gedanken, Ideen, Vorstellungen und Emotionen sind, die uns Menschen den Antrieb verleihen unsere Welt zu kultivieren und zu gestalten, und die somit auch bestimmen, welches Erscheinungsbild die Realität schlussendlich annimmt. Das gilt nicht nur für die Gegenstände und Objekte, die der Mensch mit seiner Vorstellungskraft erschafft und mit denen er sich umgibt, sondern auch für seine zwischenmenschlichen, kulturellen, sozialen, gesellschaftlichen, ökologischen und politischen Beziehungsgeflechte.
Indem Janina Frye unterschiedliche Materialien, Werkstoffe und Gegenstände verwendet, die sie aus ihren ursprünglichen Kontexten herauslöst und miteinander kombiniert, schafft sie ein Netzwerk mit zirkulierenden Bezügen und Zusammenhängen. Der Mensch und die komplexen Systeme, in die er eingebunden ist, stehen innerhalb dieses Netzwerks immer im Zentrum.
So auch bei den drei Arbeiten Phantom Feelings 3-5 (2022), bei denen verschiedene Materialien und Techniken als System miteinander interagieren. Drei überlebensgroße, rechteckige Objekte sind gegen die Wand gelehnt. Sie sind von einer grün-grauen Latexhaut bedeckt, unter der Spuren und Abdrücke von Seilen, Schläuchen und Knochen erkennbar sind. Die aufrechten, wie abstrahierte Körper wirkenden Objekte sind an Vakuumpumpen angeschlossen, die dröhnende Geräusche von sich geben. In einem abwechselnden Intervall entziehen sie den Körpern Luft. Das Latex spannt sich und das Darunterliegende wird zu einem Relief, das an stark überspannte Haut denken lässt, unter der sich Adern und Knochen abzeichnen. Während den Körpern langsam wieder Luft zugeführt wird, entspannt sich die Haut und das Relief verschwindet zusehends. Janina Frye wendet also die Bewegung der Atmung auf nicht-lebendes Material an und hinterfragt so, was es in einer technisierten Welt eigentlich genau bedeutet, lebendig zu sein. Die Kombination der industriellen Materialien lässt ein nur scheinbar lebendes System entstehen, das Attribute des „Mensch-Seins“ aufweist. Es ist aber lediglich eine Imitation, die den Menschen gerade durch seine Abwesenheit gegenwärtig macht.
Oft verharren Janina Fryes Werke in einer Art Schwebezustand und spielen mit der Wahrnehmung der Betrachterinnen und Betrachter. So auch die zwei überlebensgroßen Figuren Volta (2022) und Remote (2022). Ihre Köper bestehen aus Seilen, die sich zeichenhaft in Linien in die Höhe ziehen. Auf den ersten Blick ist nicht nachvollziehbar, wie die Seile die Fähigkeit erhalten haben sich aufzurichten. Erst bei näherer Betrachtung wird ersichtlich, dass sie aus massivem Material, nämlich aus Aluminium bestehen und somit der Schwerkraft trotzen. Wie Fabelwesen oder Figuren, die aus einem Superhelden oder Science-Fiction Film entflohen sind, schauen Sie auf uns Betrachterinnen und Betrachter hinab und sind schlussendlich Sinnbild dafür, wie sich Fantasie und Vorstellungskraft in der Realität manifestieren.
Neben den Arbeiten, die aus alltäglichen Gegenständen entstehen, nutzt Frye auch traditionelle bildhauerische Techniken bei der Formgebung ihrer Arbeiten. Beide Skulpturen wurden mit einem Sandgussverfahren hergestellt. Ihre Körper wurden zunächst in einem intuitiven Akt mit einem Seil in den Sand „gezeichnet“ und gleichzeitig in einen Schwebezustand zwischen Zwei- und Dreidimensionalität versetzt. Erst durch das Ausgießen der Abdrücke haben sie die Grenze zur Dreidimensionalität vollständig überschritten und treten uns nun als Skulpturen im Raum entgegen.
Diese Entstehungsprozesse führt uns Janina Frye in einer Laborsituation vor Augen und macht sie für uns greifbar und nachvollziehbar. Mit Hilfe von Formsand und Seilen hat sie genau den Moment nachgebildet, in dem die künstlerische Idee und ihre eigene Intuition zum ersten Mal im Sand zur Form wurden. Wie in einer Versuchsanordnung liegen außerdem zwei weitere Aluminiumskulpturen auf Sockeln, die wie Seziertische wirken. Die Skulpturen erscheinen wie Skelette, die in ihre Einzelteile zerlegt sind. Die Gusskanäle, die benötigt wurden, um das Aluminium in die Formen zu leiten, wurden nicht entfernt. Sie lassen ein weiteres Skelett entstehen, das wiederum ein visuelles Netzwerk bildet und die einzelnen Bestandteile miteinander verbindet. Durch die Installation wird somit einerseits der Entstehungsprozess der Aluminiumskulpturen nachvollziehbar. Andererseits – und das steht eigentlich im Zentrum von Janina Fryes Interesse – machen sie den unsichtbaren Prozess sichtbar, der sich vollzieht, wenn eine künstlerische Idee zur Realität wird.
Aus den Regenrinnen im Eingangsbereich steigt Nebel empor, der die gesamte Ausstellung über die Elemente Luft und Wasser miteinander verbindet. Der Nebel verbildlicht, dass alles mit allem verbunden ist und macht ein weiteres Mal das Unsichtbare sichtbar. Wir Betrachterinnen und Betrachter werden in der Ausstellung immer wieder mit unserer eigenen Körperlichkeit konfrontiert und erhalten die Möglichkeit zu reflektieren, wie wir mit unserer Umwelt in Verbindung stehen, wie wir von ihr beeinflusst werden und wie wir sie wiederum beeinflussen. Die Einsicht, dass die zahlreichen Systeme und Netzwerke, in die der Mensch eingebunden ist, genauso wie deren Wechselwirkungen, viel zu komplex sind, um sie entschlüsseln und ihre Wirkweisen bis ins letzte Detail nachvollziehen zu können, schwingt in Fryes Arbeiten immer mit. Ebenso wie das Paradoxon, dass der Mensch mit seinem unstillbaren Drang die Welt und die Natur der Dinge zu verstehen, die Realität, in der er lebt, nur noch komplexer gemacht hat.
Dementsprechend zieht sich das Seil wie ein roter Faden durch die Ausstellung bis hin zum Titel Looping, als ein Gebrauchsobjekt, das zunächst die ambivalenten Fähigkeiten besitzt, nicht nur zu verbinden, sondern auch zu begrenzen und auszugrenzen. Die Symbolik des roten Fadens legt außerdem nahe, dass auch das Seil für eine kohärente, in sich schlüssige Logik steht. Doch was passiert eigentlich, „wenn dieser Faden plötzlich ganz viele Schleifen und Knoten bekommt und man bei einer ganz anderen Logik endet?“ fragt sich Janina Frye.
Janina Frye ist 1987 in Neuwied geboren, sie lebt und arbeitet in Amsterdam. 2014 erhielt sie ihren Bachelor of Visual Art von der AKV St. Joost 's-Hertogenbosch (NL) und 2021 ihren Master of Sculpture vom Royal College of Art, London (UK). Im Jahr 2017 wurde Frye mit dem Young Talent Award des Mondriaan Fond ausgezeichnet. Im Jahr 2020 war sie Teilnehmerin am EKWC (European Ceramic Work Center) in den Niederlanden.
Ihre Arbeiten wurden in Einzel- und Gruppenausstellungen u.a. bei Arti et Amicitae, Amsterdam, First Site, Colchester, Old Operation Theatre Museum, London, Onomatopee, Eindhoven, P/////AKT, Amsterdam, im Stedelijk Museum, 's-Hertogenbosch, der Saatchi Gallery, London und der South London Gallery, London gezeigt.
Text / Kuratorin: Hannah Eckstein
Tears, sweat, blood, and breath is floating through drains into an entangled network of loopings of thoughts, emotions, senses, tension and release generating bewildered realities. Phantoms and spirits those who transcend the material order live in this breath of thoughts, manifesting and erecting the skeletons of new physical worlds.
Janina Frye
In her conceptual approach, Janina Frye’s artistic practice equals that of a researcher who investigates the human body and the way it is connected to its environment. Thus, her sculptures and installations also represent a concept of the human being – a continuously transforming system which links the body through connections and interconnections to the outside world. She explores the idea that the human skin is not an impenetrable boundary but an interface to the outside world. She asks to what extent the modern binary logic between human and object, animate and inanimate, and between nature and culture is being upset in the 21st century. Furthermore, she explores how changing realities of life drive different processes of alienation in our body perception and how immaterial and imaginary entities, fictions, phantoms, and emergent processes influence this alienation.
She often uses her own body, namely psychological and physiological processes, as inspiration exploring how thoughts, sensations and emotional states manifest themselves physically. She translates her subjective sensory impressions as well as their physical effects into material conditions, thus manifesting the invisible and the intangible in her works. The decisive factor for this approach is the realisation that thoughts, ideas and emotions drive us humans to cultivate and shape the world, thus also determining what appearance reality finally takes on. This applies not only to the objects people create with their imagination and surround themselves with but also to their interpersonal, cultural, social, ecological, and political networks of relationships.
By using different materials and objects, removed from their original contexts and combined with each other, Janina Frye creates a network of circulating references and connections. Human beings and the complex systems in which everything is integrated are always at the centre of this network.
This is also the case with the three works Phantom feelings 3–5 (2022), in which different materials and techniques interact with each other as a system. Three larger-than-life rectangular objects are leaning against the wall. They are covered by a green-grey latex skin beneath which traces and imprints of ropes, tubes and bones are visible. The upright objects, which appear like abstracted bodies, are connected to vacuum pumps that emit droning sounds. In an alternating interval, they extract air from the sculptural bodies. The latex stretches and the underlying surface becomes a relief reminiscent of heavily overstretched skin with veins and bones. Once the bodies are slowly inflated again, the skin relaxes and the underlying relief visibly disappears. Janina Frye applies the movement of breathing to non-living material, questioning what it exactly means to be alive in a mechanised world. The combination of industrial materials gives rise to a system that only appears to be alive with its attributes of “being human”. However, it is merely an imitation which makes the human being present precisely through its absence.
Janina Frye’s works often remain in a kind of suspended state and play with the viewer’s perception. This is also the case with the two larger-than-life sculptures Volta (2022) and Remote (2022). Their bodies are created out of ropes that stretch upwards in graphical lines. At first glance, it is not clear how the ropes have acquired the ability to rise. Only on closer inspection it becomes apparent that they are made of solid material, namely aluminium, and thus defy gravity. Like mythical creatures or figures that have escaped from a superhero or science fiction movie, they look down upon us viewers and are ultimately a symbol of how fantasy and imagination manifest themselves in reality.
In addition to works created from everyday objects, Frye also uses traditional sculptural techniques. Both sculptures were made using a sand-casting process. Their bodies were first “drawn” into the sand with a rope in an intuitive act, simultaneously placing them in a state of suspension between two- and three-dimensionality. Only by pouring out the imprints they completely crossed the boundary to three-dimensionality and now face us as sculptures in space.
Janina Frye recreates these processes in a laboratory situation and makes them tangible and comprehensible. With the help of moulding sand and ropes, she has recreated the exact moment when the artistic idea and her own intuition first became form in the sand. As if in an experimental arrangement, there are two further aluminium sculptures on pedestals looking like dissecting tables. The sculptures appear like skeletons that have been disassembled into their individual parts. The casting channels that were needed to guide the aluminium into the moulds have not been removed. They give rise to another skeleton, which in turn forms a visual network and connects the individual components with each other. On the one hand, the installation makes the process of creating the aluminium sculptures comprehensible. On the other hand – and this is actually the focus of Janina Frye’s interest – they make visible the invisible process taking place when an artistic idea becomes reality.
Mist rises from the drainage channel in the entrance area, linking the whole exhibition through the elements of air and water. The mist illustrates how everything is connected to everything else and once again makes the invisible visible. Us viewers are repeatedly confronted with our own physicality and are given the opportunity to reflect on how we are connected to our environment, how we are influenced by it and how we influence it in turn. Always resonating in Frye’s works is the insight that the numerous systems and networks in which humans are integrated as well as their interactions are far too complex to decipher and understand their modes of action down to the last detail. As does the paradox that man, with their insatiable urge to understand the world and the nature of things has only made the reality in which he lives in more complex.
Accordingly, the rope runs like a thread through the whole exhibition right up to the titular Looping, as a utilitarian object which initially possesses the ambivalent abilities not only to connect but also to limit and exclude. The symbolism of the red thread also suggests that the rope stands for a coherent logic. But what actually happens, Janina Frye insists, “when this thread suddenly gets a lot of loops and knots and you end up with a completely different logic?”
Janina Frye was born in Neuwied in 1987, she lives and works in Amsterdam. In 2014 she received her Bachelor in Visual Art from AKV St. Joost 's-Hertogenbosch (NL) and in 2021 her Master in Sculpture from the Royal College of Art, London (UK). In 2017, Frye was awarded the Young Talent Award by the Mondriaan Fond. In 2020, she was a participant at the EKWC (European Ceramic Work Center) in the Netherlands. Her works have been shown in solo and group exhibitions at Arti et Amicitae, Amsterdam, First Site, Colchester, Old Operation Theatre Museum, London, Onomatopee, Eindhoven, P/////AKT, Amsterdam, the Stedelijk Museum, 's-Hertogenbosch, the Saatchi Gallery, London and at the South London Gallery, London.
Text / Curator: Hannah Eckstein
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