Xiaopeng Zhou
06.07. – 01.09.2024
© 2024 Xiaopeng Zhou & Kunstverein Friedrichshafen, Fotos / Photos: Dominik Dresel
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Xiaopeng Zhou
Swamping
06.07. – 01.09.2024
DEU
So ein Haus mitten im Moor, ohne Nachbarschaft (abgesehen von einigen fremden Bauernhöfen), an keiner Straße gelegen und von keinem Menschen gefunden, ist eine gute Zuflucht, ein Ort, mit dem man bald durch ein unscheinbares Mimikry verschmilzt, und geeignet, nach vorwärts und nach rückwärts in Zukunft und Erinnerung ruhig und voll Gleichgewicht zu leben.
Rainer Maria Rilke an Franziska von Reventlow, 1901
Rainer Maria Rilkes Poesie eignet sich für Erkundungen der besonderen Art. Man muss nicht weit wegfahren und hat doch, wenn man sich einlässt, großen inneren Gewinn – denn Rilke ist der Dichter der Sehnsucht.[1]In der 1903 erstmals aufgelegten Monografie "Worpswede" wandelt der Dichter Werke fünf Worpsweder Künstler[2] in sprachliche Gemälde um. Aus Bildbeschreibungen und Künstlerbiografien zaubert Rilke eine Ode an die Moorlandschaft.[3] Das Moor ist nicht mehr farblos und öde. Es ist nicht mehr schauerlich, sondern großartig. Und es ist der ideale Gegenstand für die Malerei.[4]
Eine solche Sehnsucht, eine Einswerdung mit der doch manchmal argen Landschaft des Moors, erweckt die Ausstellung von Xiaopeng Zhou swamping im Kunstverein Friedrichshafen. Für seine Einzelausstellung präsentiert Zhou sein jahrelanges Interesse an Geologie vor allem in Form von Zeichnungen und installativen Elementen. Feine Striche und Schattierungen ziehen sich durch seine zeichnerischen Serien. Eine Einordnung, welche Orte und Pflanzen er hier beschreibt, ist erstmal eine Herausforderung. Wie das Moor zwischen Erde und Wasser, zwischen fest und flüssig changiert, so tun es die vielen auf den ersten Blick schlicht wirkenden Zeichnungen, die im Ausstellungsraum hängen. Die vielen Perspektiven und Winkel, aber auch das Display der Arbeiten und ihre Präsentation, laden wie Rilkes Poesie zu einer speziellen Form der Erkundschaftung ein.
Das Moor – offenes und bewirtschaftetes Ökosystem, karge Landschaft, öde, rau, unheimlich. Und auch: das Moor als Renaturierungsprojekt und als CO2-senkende Hoffnung, dem Klimawandel entgegenzuwirken. Der Bärlapp ist eine Pflanzenart, die im Moor ansässig ist. Oft auch als „lebendes Fossil“ bezeichnet, sind Pflanzen dieses Lycopodiums, so seine lateinische Bezeichnung, unauffällige 20–30 cm groß und wachsen auf Waldböden oder in Feuchtgebieten, in die sich der Künstler für swamping (abgeleitet von dem englischen wort swamp, dem Moor- oder Sumpfgebiet) begeben hat. Das besondere an Bärlapp ist, dass er die Struktur der ersten Urpflanzen beibehalten hat, bei denen Stängel, Blätter und Wurzeln nicht klar voneinander getrennt sind. Solche Merkmale lassen sich auf mehr als 400 Millionen Jahre zurückführen.
In Form des gezeichneten Bärlapps treffen sich in Zhous zeichnerischem Werk dokumentarischen Feinsinn und Vergänglichkeit überschreitende Imagination. Er kombiniert in seinen Darstellungen Spuren paläontologischer Wissenschaftserkenntnisse mit autodidaktischen Beobachtungen. In der Beiläufigkeit der Motivwahl erinnern seine Arbeiten an das Vergessene, an Wachstum und Verfall, an Altern und Fortschreiten.
Die präsentieren Arbeiten sind teils ortsspezifisch entwickelt worden, Zhou hat dafür die Moore um den Bodensee bereist. Dabei greift er regional-ökologische Entwicklungen um Süddeutschland auf, die er aber auch durch Recherchen in der Paläontologischen Abteilung des Naturkundemuseums in Berlin sammeln konnte. Die Ausstellung besteht auch deshalb aus zwei Teilen: einer Sammlung von Schwarz-Weiß-Zeichnungen im Erdgeschoss und einer Verlagerung von Fundstücken, anderen Objekten und Tabletts ein Stockwerk darüber.
In seiner reinen Konzentration auf das Wesentliche lässt die Zeichnung Zhous dabei absichtlich viel aus. Es gibt keinen Bildhintergrund, diese Leerstellen sind bewusst gesetzt – nichts anderes passiert als eine akribische Erkundung seiner gewählten Objekte. Diese Leerstellen zeigen sich auch im oberen Stockwerk, verblichene Spuren von menschlicher Sortierung weisen mehr auf Forschungsergebnisse und Einordnungen hin, als dass sie wirklich welche präsentieren. Diese Analyse und Präzision in Zhous Arbeiten, die Dichte seiner Thematik, löst er auf in der bedächtigen Freiheit seiner Motive auf weißem Papier. Die Stockwerke vermengen sich so zu einer zeitlosen Abbildung dieses mystischen Ortes Moor: es wird ein Ort, der Jahrtausende miteinander verschmilzt, so wie Rilke es schon 1901 gesagt hat, „nach vorwärts und nach rückwärts in Zukunft und Erinnerung“.
Kuration und Text: Marlene A. Schenk
ENG
The poetry of Rainer Maria Rilke lends itself to explorations of a special kind. You don't have to travel far and yet, if you do, you will reap great inner rewards - for Rilke is the poet of longing.In the monograph "Worpswede", first published in 1903, the poet transforms the works of five Worpswede artists into linguistic paintings. Rilke conjures up an ode to the moorland landscape from descriptions of the paintings and biographies of the artists.The moor is no longer colourless and desolate. It is no longer horrible, but magnificent. And it is the ideal subject for painting.
Xiaopeng Zhou's exhibition swamping at Kunstverein Friedrichshafen evokes such a longing, a becoming one with the sometimes harsh landscape of the moor. For his solo exhibition, Zhou presents his long-standing interest in geology primarily in the form of drawings and installation elements. Fine strokes and shading run through his series of drawings. At first, it is a challenge to categorise the places and plants he is describing. Just as the moor oscillates between earth and water, between solid and liquid, so do the many seemingly simple drawings hanging in the exhibition space. Like Rilke's poetry, the many perspectives and angles, but also the display and presentation of the works, invite a special form of exploration.
The swamp - an open and cultivated ecosystem, a barren landscape, desolate, rough, eerie. And also: the bog as a renaturation project and as a CO2-reducing hope to counteract climate change. Lycopodium is a species of plant native to the moor. Often referred to as 'living fossils', Lycopodium, as it is called in Latin, is an inconspicuous plant of 20 to 30 cm in height that grows on the forest floor or in wetlands where the artist has travelled to look for swamps (from the English word swamp, meaning bog or marshland). What makes Lycopodium special is that it has retained the structure of the first primeval plants, in which stems, leaves and roots are not clearly separated. Such features can be traced back more than 400 million years.
In the form of the drawn bear rag, Zhou's graphic work combines documentary subtlety with an imagination that transcends transience. In his depictions, he combines traces of palaeontological scientific knowledge with autodidactic observations. In the casualness of his choice of motifs, his works evoke the forgotten, growth and decay, ageing and progress.
Some of the works presented were developed specifically for the site, for which Zhou travelled to the moors around Lake Constance. In doing so, he draws on regional ecological developments in southern Germany, which he was also able to gather through research at the Palaeontological Department of the Natural History Museum in Berlin. The exhibition therefore consists of two parts: a collection of black and white drawings on the ground floor and a relocation of artefacts, other objects and trays on the floor above.
In its concentration on the essential, Zhou's drawing deliberately omits much. There is no background to the picture, these empty spaces are deliberately placed - nothing else is happening except a meticulous exploration of his chosen objects. These blank spaces can also be seen on the upper floor, faded traces of human sorting, suggesting research and categorisation rather than actual representation. This analysis and precision in Zhou's work, the density of his subject matter, dissolves into the deliberate freedom of his motifs on white paper. The floors thus merge into a timeless depiction of this mystical place, the moor: it becomes a place where millennia merge, as Rilke said in 1901, "forwards and backwards in future and memory".
Curated and with a text by: Marlene A. Schenk
[1] Johannes Heiner: Die Stille hinter den Worten des Dichters Rainer Maria Rilke, 2008.
[2] Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Fritz Overbeck, Hans am Ende und Heinrich Vogeler.
[3] Rainer Maria Rilke: Worpswede. Monographie einer Landschaft und ihrer Maler, 2012.
[4] Günter Beyer: Eine Lange Nacht über das Moor. Es wankt und wuchert und schweigt, 2019.
Xiaopeng Zhou
06.07. – 01.09.2024
© 2024 Xiaopeng Zhou & Kunstverein Friedrichshafen, Fotos / Photos: Dominik Dresel
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Xiaopeng Zhou
Swamping
06.07. – 01.09.2024
DEU
So ein Haus mitten im Moor, ohne Nachbarschaft (abgesehen von einigen fremden Bauernhöfen), an keiner Straße gelegen und von keinem Menschen gefunden, ist eine gute Zuflucht, ein Ort, mit dem man bald durch ein unscheinbares Mimikry verschmilzt, und geeignet, nach vorwärts und nach rückwärts in Zukunft und Erinnerung ruhig und voll Gleichgewicht zu leben.
Rainer Maria Rilke an Franziska von Reventlow, 1901
Rainer Maria Rilkes Poesie eignet sich für Erkundungen der besonderen Art. Man muss nicht weit wegfahren und hat doch, wenn man sich einlässt, großen inneren Gewinn – denn Rilke ist der Dichter der Sehnsucht.[1]In der 1903 erstmals aufgelegten Monografie "Worpswede" wandelt der Dichter Werke fünf Worpsweder Künstler[2] in sprachliche Gemälde um. Aus Bildbeschreibungen und Künstlerbiografien zaubert Rilke eine Ode an die Moorlandschaft.[3] Das Moor ist nicht mehr farblos und öde. Es ist nicht mehr schauerlich, sondern großartig. Und es ist der ideale Gegenstand für die Malerei.[4]
Eine solche Sehnsucht, eine Einswerdung mit der doch manchmal argen Landschaft des Moors, erweckt die Ausstellung von Xiaopeng Zhou swamping im Kunstverein Friedrichshafen. Für seine Einzelausstellung präsentiert Zhou sein jahrelanges Interesse an Geologie vor allem in Form von Zeichnungen und installativen Elementen. Feine Striche und Schattierungen ziehen sich durch seine zeichnerischen Serien. Eine Einordnung, welche Orte und Pflanzen er hier beschreibt, ist erstmal eine Herausforderung. Wie das Moor zwischen Erde und Wasser, zwischen fest und flüssig changiert, so tun es die vielen auf den ersten Blick schlicht wirkenden Zeichnungen, die im Ausstellungsraum hängen. Die vielen Perspektiven und Winkel, aber auch das Display der Arbeiten und ihre Präsentation, laden wie Rilkes Poesie zu einer speziellen Form der Erkundschaftung ein.
Das Moor – offenes und bewirtschaftetes Ökosystem, karge Landschaft, öde, rau, unheimlich. Und auch: das Moor als Renaturierungsprojekt und als CO2-senkende Hoffnung, dem Klimawandel entgegenzuwirken. Der Bärlapp ist eine Pflanzenart, die im Moor ansässig ist. Oft auch als „lebendes Fossil“ bezeichnet, sind Pflanzen dieses Lycopodiums, so seine lateinische Bezeichnung, unauffällige 20–30 cm groß und wachsen auf Waldböden oder in Feuchtgebieten, in die sich der Künstler für swamping (abgeleitet von dem englischen wort swamp, dem Moor- oder Sumpfgebiet) begeben hat. Das besondere an Bärlapp ist, dass er die Struktur der ersten Urpflanzen beibehalten hat, bei denen Stängel, Blätter und Wurzeln nicht klar voneinander getrennt sind. Solche Merkmale lassen sich auf mehr als 400 Millionen Jahre zurückführen.
In Form des gezeichneten Bärlapps treffen sich in Zhous zeichnerischem Werk dokumentarischen Feinsinn und Vergänglichkeit überschreitende Imagination. Er kombiniert in seinen Darstellungen Spuren paläontologischer Wissenschaftserkenntnisse mit autodidaktischen Beobachtungen. In der Beiläufigkeit der Motivwahl erinnern seine Arbeiten an das Vergessene, an Wachstum und Verfall, an Altern und Fortschreiten.
Die präsentieren Arbeiten sind teils ortsspezifisch entwickelt worden, Zhou hat dafür die Moore um den Bodensee bereist. Dabei greift er regional-ökologische Entwicklungen um Süddeutschland auf, die er aber auch durch Recherchen in der Paläontologischen Abteilung des Naturkundemuseums in Berlin sammeln konnte. Die Ausstellung besteht auch deshalb aus zwei Teilen: einer Sammlung von Schwarz-Weiß-Zeichnungen im Erdgeschoss und einer Verlagerung von Fundstücken, anderen Objekten und Tabletts ein Stockwerk darüber.
In seiner reinen Konzentration auf das Wesentliche lässt die Zeichnung Zhous dabei absichtlich viel aus. Es gibt keinen Bildhintergrund, diese Leerstellen sind bewusst gesetzt – nichts anderes passiert als eine akribische Erkundung seiner gewählten Objekte. Diese Leerstellen zeigen sich auch im oberen Stockwerk, verblichene Spuren von menschlicher Sortierung weisen mehr auf Forschungsergebnisse und Einordnungen hin, als dass sie wirklich welche präsentieren. Diese Analyse und Präzision in Zhous Arbeiten, die Dichte seiner Thematik, löst er auf in der bedächtigen Freiheit seiner Motive auf weißem Papier. Die Stockwerke vermengen sich so zu einer zeitlosen Abbildung dieses mystischen Ortes Moor: es wird ein Ort, der Jahrtausende miteinander verschmilzt, so wie Rilke es schon 1901 gesagt hat, „nach vorwärts und nach rückwärts in Zukunft und Erinnerung“.
Kuration und Text: Marlene A. Schenk
ENG
The poetry of Rainer Maria Rilke lends itself to explorations of a special kind. You don't have to travel far and yet, if you do, you will reap great inner rewards - for Rilke is the poet of longing.In the monograph "Worpswede", first published in 1903, the poet transforms the works of five Worpswede artists into linguistic paintings. Rilke conjures up an ode to the moorland landscape from descriptions of the paintings and biographies of the artists.The moor is no longer colourless and desolate. It is no longer horrible, but magnificent. And it is the ideal subject for painting.
Xiaopeng Zhou's exhibition swamping at Kunstverein Friedrichshafen evokes such a longing, a becoming one with the sometimes harsh landscape of the moor. For his solo exhibition, Zhou presents his long-standing interest in geology primarily in the form of drawings and installation elements. Fine strokes and shading run through his series of drawings. At first, it is a challenge to categorise the places and plants he is describing. Just as the moor oscillates between earth and water, between solid and liquid, so do the many seemingly simple drawings hanging in the exhibition space. Like Rilke's poetry, the many perspectives and angles, but also the display and presentation of the works, invite a special form of exploration.
The swamp - an open and cultivated ecosystem, a barren landscape, desolate, rough, eerie. And also: the bog as a renaturation project and as a CO2-reducing hope to counteract climate change. Lycopodium is a species of plant native to the moor. Often referred to as 'living fossils', Lycopodium, as it is called in Latin, is an inconspicuous plant of 20 to 30 cm in height that grows on the forest floor or in wetlands where the artist has travelled to look for swamps (from the English word swamp, meaning bog or marshland). What makes Lycopodium special is that it has retained the structure of the first primeval plants, in which stems, leaves and roots are not clearly separated. Such features can be traced back more than 400 million years.
In the form of the drawn bear rag, Zhou's graphic work combines documentary subtlety with an imagination that transcends transience. In his depictions, he combines traces of palaeontological scientific knowledge with autodidactic observations. In the casualness of his choice of motifs, his works evoke the forgotten, growth and decay, ageing and progress.
Some of the works presented were developed specifically for the site, for which Zhou travelled to the moors around Lake Constance. In doing so, he draws on regional ecological developments in southern Germany, which he was also able to gather through research at the Palaeontological Department of the Natural History Museum in Berlin. The exhibition therefore consists of two parts: a collection of black and white drawings on the ground floor and a relocation of artefacts, other objects and trays on the floor above.
In its concentration on the essential, Zhou's drawing deliberately omits much. There is no background to the picture, these empty spaces are deliberately placed - nothing else is happening except a meticulous exploration of his chosen objects. These blank spaces can also be seen on the upper floor, faded traces of human sorting, suggesting research and categorisation rather than actual representation. This analysis and precision in Zhou's work, the density of his subject matter, dissolves into the deliberate freedom of his motifs on white paper. The floors thus merge into a timeless depiction of this mystical place, the moor: it becomes a place where millennia merge, as Rilke said in 1901, "forwards and backwards in future and memory".
Curated and with a text by: Marlene A. Schenk
[1] Johannes Heiner: Die Stille hinter den Worten des Dichters Rainer Maria Rilke, 2008.
[2] Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Fritz Overbeck, Hans am Ende und Heinrich Vogeler.
[3] Rainer Maria Rilke: Worpswede. Monographie einer Landschaft und ihrer Maler, 2012.
[4] Günter Beyer: Eine Lange Nacht über das Moor. Es wankt und wuchert und schweigt, 2019.