The matter matter matters beginnt dort, wo sich zwei dominante Erzählungen künstlerischer Praxis kreuzen: die vom Werk als Ausdruck eines autonomen Subjekts und die vom Dorf als vermeintlicher Ort kultureller Randständigkeit. Die Gruppe Dorf verschränkt in der Ausstellung im Kunstverein Friedrichshafen diese beiden Linien zu einer doppelten Infragestellung: Wie lässt sich künstlerische Autor:innenschaft jenseits singulärer Zuschreibung denken? Und welche Bedeutung gewinnt der ländliche Raum, wenn er nicht länger als peripher, sondern als produktive Oberfläche künstlerischer Praxis verstanden wird?
Indem Dorf in der Ausstellung einerseits individuelle Malereien zeigt und andererseits gemeinschaftliche Arbeiten, wird sichtbar, wie künstlerische Produktion nicht als Einzelleistung, sondern als Fragmentierung und Verflechtung zu verstehen ist. So wie das Bild des „Dorfes“ als rückständig dekonstruiert wird, so wird auch die Vorstellung von künstlerischer Autor:innenschaft aufgebrochen: Sie wird zur geteilten, relationalen Struktur, die sich im Spannungsfeld zwischen individuellen Impulsen und sozialen Bedingungen bewegt. Die Ausstellung schafft damit eine Schnittstelle zwischen persönlicher künstlerischer Position, kollektiver Praxis und den institutionellen Rahmenbedingungen, die Kunst hervorbringen. Das Subjekt in der Malerei erscheint weniger als isolierter Urheber, sondern als Resultat von Prozessen, die sozial, ökonomisch und ästhetisch begriffen werden.
Im Erdgeschoss des Kunstvereins wird hierfür ein fiktiver Marktplatz inszeniert – mit Ölstift gezeichnete Hausfassaden bilden die Kulisse, in deren Fenstern und Wänden Arbeiten der vier Künstler:innen Andi Fischer, Michael Guenzer, Conny Maier und Dennis Buck hängen. Die Häuser dienen als Träger für ihre individuellen Positionen: Malereien, Zeichnungen, skulpturale Elemente, die jeweils eigenständige künstlerische Handschriften tragen – aber im gemeinsamen Raum neu verhandelt und in Beziehung zueinander hängen. Der Marktplatz wird so zum Bild für eine geteilte künstlerische Öffentlichkeit, in der individuelle Äußerung und kollektive Struktur nicht im Widerspruch stehen, sondern sich gegenseitig bedingen. Die Marktplatz-Szenerie versteht sich gleichzeitig als subtile Kritik an Ausstellungspraxis selbst. Der White Cube, klassisch gedacht als neutraler Präsentationsraum, erscheint in dieser Konstellation als durchlässig, als bewohnt, als sozial aufgeladen. Der Raum wird nicht mehr als „ideologisch neutraler Container“ begriffen, sondern als Ort, der sichtbar macht, „wer wie und warum ausgestellt wird“.[1] Der Marktplatz ist dabei keine romantische Rückprojektion, sondern ein funktionales Denkmodell: In seiner Unordnung, mit seinem öffentlichen Charakter und sozialen Dynamiken wird er zur Gegenfigur institutioneller Exklusivität. Die Ausstellung fordert damit auch das Selbstverständnis des Kunstvereins heraus und stellt die Frage, welche Räume es heute braucht, um Kunst jenseits marktzentrierter oder urban kodierter Relevanz zu verhandeln.
Im Obergeschoss der Ausstellung wechselt die Perspektive: Gezeigt werden hier gemeinschaftlich produzierte Werke der Gruppe Dorf – malerische Arbeiten, bei denen nicht mehr klar erkennbar ist, wem welche Spur, welche Linie, welcher Eingriff zuzuordnen ist. Die Autor:innenschaft wird geteilt, verschoben, aufgelöst; nicht in Richtung Anonymität, sondern in Richtung einer relationalen, prozesshaften Praxis. Diese Formen kollaborativer Malerei verweigern sich der Vorstellung eines abgeschlossenen, autonomen Subjekts als Ursprung des Werks. An dessen Stelle tritt ein instabiler, situativer Autor:innenbegriff, der sich mit jeder Geste und jedem Eingriff neu formiert. Die malerische Geste wird dabei nicht als Ausdruck, sondern als performativer Akt lesbar; als Adressierung, nicht als Signatur: „Painting does not express subjectivity, it produces it“.[2]
In den Gemeinschaftsarbeiten von Dorf wird diese Umcodierung sichtbar. Verschiedene malerische Sprachen überlagern sich. Das geschieht nicht als Kompromiss, sondern als Reibung, als Friktion. Die Malerei selbst wird zum Ort des Aushandelns, so wie auf dem öffentlichen Marktplatz.[3] Das Bild ist nicht das Endprodukt einer Intention, sondern das Ergebnis einer offenen, situativen Bewegung. The matter matter matters verweigert sich eindeutigen Zuschreibungen: weder das Dorf noch das Werk, weder der Ort noch das Subjekt lassen sich hier abschließend definieren. Die Ausstellung schafft stattdessen Räume, in denen Differenz produktiv wird. Der Marktplatz unten und die Gemeinschaft oben sind keine Gegensätze, sondern zwei Perspektiven auf dieselbe Frage: Wie lässt sich Kunst denken, zeigen und machen, wenn sie nicht mehr von einem Zentrum ausgeht, sondern von vielen?
Dorf wurde 2017 von Andi Fischer, Michael Guenzer, Conny Maier und Dennis Buck gegründet. Die heutige Popkultur stellt das Dorf und die Provinz gerne als beschauliche Blasen der ländlichen Idylle dar, abgeschottet vom großen Weltgeschehen – ein Bild, das Dorf in ihren gemeinschaftlichen Arbeiten auf humorvolle und selbstironische Weise zur Diskussion stellen, um zugleich ihre eigenen Biografien zu beleuchten.
[1] Brian O’Doherty: Inside the White Cube. The Ideology of the Gallery Space, University of California Press, 1999, S. 14.
[2] Claire Bishop: Artificial Hells: Participatory Art and the Politics of Spectatorship, Verso, 2012, S. 11.
[3] Claire Bishop beschreibt diesen Prozess als „redistribution“ von Autor:innenschaft: zeitlich, räumlich, kollektiv. In: Claire Bishop: Artificial Hells: Participatory Art and the Politics of Spectatorship, Verso, 2012, S. 11.