Adrian Altintas & Madeleine Boschan

Mit dem Maler Adrian Altintas und der Bildhauerin Madeleine Boschan treffen zwei künstlerische Positionen aufeinander, die ihre Konzentration auf die grundlegenden Parameter ihrer Gattung richten. Die Eigenschaften von Form und Farbe stehen ebenso im Fokus, wie das Verhältnis von Fläche und Körper. Dabei überschreiten beide regelmäßig die Grenzen des eigenen Mediums, um in das des jeweilig anderen einzutauchen. Aus den unterschiedlichen Perspektiven wird die Frage nach der Objekthaftigkeit des Bildes bzw. der Bildhaftigkeit des Objekts gestellt. Gemälde und Plastik nähern sich so in der Ausstellung einander an, um doch wieder zu den eigenen Ursprüngen zurückzukehren.

Die Cutouts von Adrian Altintas entstehen aus Bildträgern, auf die er eine unebene, weiße Oberfläche aufträgt, und so den Bildkörper aus sich heraus konstruiert. An einigen Stellen sind Schraffuren und Linien in das Material eingeschrieben, an anderen befinden sich ausgeschnittene Formen, welche die Sicht auf die dahinterliegende Wand freilegen. Die Spuren und Linien geben die Komposition vor – oder mehr – sie selbst sind bereits elementarer Bestandteil ebendieser, auf die Altintas mit den Ausschnitten reagiert. Die innenliegenden Flächen der Cutouts sind mit klarem Gelb, Rot, Blau, Grün oder Orange nachgezogen und werden durch das Zusammenspiel des Lichts und dem Weiß des umgebenden Bildraums derart reflektiert, dass er in einen farbigen Schimmer getaucht ist und die Werke eine physische Präsenz erhalten, die zwischen Bild und Relief oszilliert.

Die Ausschnitte basieren auf organischen Formen, die aus dem körperlichen Empfinden des Künstlers entstehen. Die Bildkörper nehmen diese Formen auf. Sie empfinden noch das rechteckige oder quadratische Format einer klassischen Leinwand nach, doch ihre gewundenen, unregelmäßigen Kanten geben dem Bild die Freiheit, auch außerhalb dieser Begrenzung zu existieren und sich als Körper aus in sich geschlossenen und dann wieder offen gehaltenen Flächen zu manifestieren.

Die Grenzbereiche zwischen Repräsentation und Abstraktion werden zusehends verzerrt und der Akt des Wahrnehmens als Prozess des Sehens bewusst gemacht. Denn nur durch die Komposition und Farbigkeit der Ausschnitte, setzen sich aus abstrakten Formen Erscheinungen der Wirklichkeit zusammen. Das Wahrgenommene findet somit nicht ausschließlich auf dem Bild statt, sondern ergibt sich aus den subjektiven Erfahrungen und Sehgewohnheiten. Altintas dekliniert durch, wie etwas bildnerisch und plastisch darzustellen ist, und zeigt, wie Abstraktes für die menschliche Wahrnehmung gegenständlich wird.

Madeleine Boschans architektonisch anmutenden, minimalistisch-geometrischen Plastiken konstituieren sich im Bezug zu Körper und Raum und sind sowohl imaginäre als auch reale Orte für soziale Begegnungen und Interaktionen. Die Auseinandersetzung mit dem architektonischen Prinzip des Portals beschäftigt die Bildhauerin seit vielen Jahren. Ein Portal – stets Ausdruck einer Gemeinschaft – steht für sie für den menschlichen Kulturraum, während das Sich-Öffnen, aber auch das Sich-Verschließen, unseren sozialen, ethischen und ästhetischen Raum seit jeher definiert. Ihre Portale können somit als semipermeable Haut unseres inneren Kulturraums verso des außenliegenden Naturraums begriffen werden.

Ihre Titel sind oftmals Gedichten von Lyrikern wie E. E. Cummings und James Schuyler entlehnt. Ähnlich einem Gedicht, erzeugen sie einen atmosphärischen Raum, der individuelle Stimmungen und Empfindungen zu erzeugen und beeinflussen vermag.

Die Relation ihrer Flächen und Winkel suggerieren, dass die Werke mathematischen Berechnungen zugrunde liegen. Doch der Schein trügt, denn sie entstehen viel eher aus dem körperlichen Empfinden und der Intuition der Künstlerin. Sie spürt nach, wie sich Arme öffnen, sich das Knie beugt, das Bein streckt und sich physische Haltungen und Positionen im Raum finden. Die Klarheit und geometrische Strenge entwickelt sich so aus ihrem subjektiven Proportionsempfinden.

In den äußerst malerischen, farbigen Oberflächen der Portale ist zudem ein dynamischer, streng geführter Pinselduktus zu erkennen, der durch meditativ gesetzte Bewegungen entsteht. Die miteinander verbundenen Linien, die in sich geschlossene Oberflächen bilden, müssen als Ausdruck des psychischen wie auch physischen Empfindens der Künstlerin gelesen werden.

Mit der Bewegung der Betrachterinnen und Betrachter im Raum sowie dem Zusammenspiel von Form, Farbe und Licht, erzeugen die Portale ein Schattenspiel im Umraum. Ihre Öffnungen geben, ähnlich wie die Ausschnitte von Adrian Altintas‘s Cutouts, den Blick auf den dahinterliegenden Raum frei und lassen unterschiedliche Blickachsen entstehen.

Die dreiteilige, begehbare Plastik Somewhere I have never travelled, gladly beyond any experience (Parataxe), 2023, setzt sich aus monochromen schwarzen und weißen Aluminiumblechen zusammen. Die senkrechten, hochaufragenden und asymmetrischen Formen erzeugen wiederum einen sphärischen Raum, der im freien Wechsel sowohl Inneres als auch Äußeres ist und in einen Dialog mit der umgebenden Architektur tritt. Das Miteinander von Symmetrie und Asymmetrie lässt das menschliche Maß als subjektives, räumliches Empfinden aus dem Gleichgewicht geraten, sodass die Betrachterinnen und Betrachter ihre eigene Position innerhalb dieses Gefüges neu bestimmen müssen.

Beiden künstlerischen Ansätzen ist somit auch eine zutiefst menschliche Dimension eigen, welche die subjektive Wahrnehmung der Rezipientinnen und Rezipienten auf unterschiedlichen Ebenen herausfordert.

Adrian Altintas (geb. 1989, lebt und arbeitet in Berlin) hat an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg studiert. 2019 wurde Altintas mit dem Nachwuchspreis Rundgang 50Hertz der Neuen Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin in Kooperation mit dem Museum Hamburger Bahnhof ausgezeichnet. Zu den jüngsten Einzelausstellungen zählen Rides im Kunstverein Heppenheim und Adrian Altintas in der Sunday-S Gallery in Kopenhagen.


Text/Kuratorin: Hannah Eckstein