Selena States
Frigidaire
Wer die Installation der amerikanischen Künstlerin Selene States betritt, wird sich zunächst an ein Kino erinnert fühlen: Eine riesige Plakatmalerei prangt auf der großen Seitenwand – es ist ein Liebes-paar, kurz davor sich zu küssen, begleitet von dem rätselhaften Titel Frigidaire. Rechts auf der Stirn-wand entdecken wir weitere Plakate, so auch oben links von der Treppe. Und immer wieder taucht der geheimnisvolle Titel auf: Frigidaire!
Doch des Rätsels Lösung hat die Künstlerin direkt in unserer Mitte platziert – in Form eines imposanten amerikanischen Kühlschranks, auf dessen Tür das Emblem selben Namens prangt. Dieses Elektrogerät, das zu den frühesten Modellen der US-amerikanischen Marke Frigidaire zählt, spielt die Hauptrolle in unserer Ausstellung, die sich augenzwinkernd und ironisch, kritisch und humorvoll damit auseinandersetzt, wie Vermarktungsstrategien industrieller Konsumprodukte und anachronistische Rollenbilder ineinandergreifen. Aufgeladen mit gesellschaftlichen, psychischen und erotischen Assoziationen und Projektionen erweist sich dabei die Kühlschrankmarke Frigidaire mit ihrem nostalgischen Design und den ganz auf Sinnlichkeit bedachten Werbebildern als ideales Objekt der Begierde für die moderne Frau.
Dieser angeblich lustvollen Seite des Hausfrauendaseins kommen wir auf die Spur, wenn wir die Treppe emporsteigen, um es uns in einer Flugzeugkabine bequem zu machen. In den dort gezeigten Werbespots erfahren wir alles über die neuesten Modelle der Marke Frigidaire aus dem Jahre 1957. Es sind Kühlschränke mit den Namen schnittiger Limousinen und denselben Attributen, die sich „Mann“ von der idealen Hausfrau wünscht: „aufregend“, „elegant“ und selbstverständlich „praktisch“ und „funktionstüchtig“. Nicht zufällig treffen wir in diesen Filmchen auf die junge, hübsche, elegant gekleidete Hausfrau, die uns das neueste Kühlschrankmodell vorführt wie einen lang ersehnten Traum, der nun in Erfüllung gegangen ist. Mit zärtlichen Bewegungen öffnet und schließt sie seine Türen, streicht über seine Oberflächen und entdeckt sein Innenleben, so als könnte sie von seinem Anblick gar nicht genug bekommen. Es ist ein verführerisches Leben, in dem sich die Hausarbeit auf Knopfdruck selbst erledigt und die Hausfrau in ihrem schönsten Kleid, frisch frisiert, geschminkt und auf Stöckelschuhen durch die Küche tanzt – selbstverständlich ohne sich die Hände schmutzig zu machen!
In ihrer eigenen Version dieser Verführungsgeschichte treibt Selene States den manipulativen Aspekt der wunderbaren Werbewelt auf die Spitze. In ihrem 36-minütigen Videofilm, für den sie ein eigenes Kino eingerichtet hat, entfaltet sich eine lustvolle und zugleich manische Beziehung zwischen der Stewardess Cura und ihrem Frigidaire-Kühlschrank – in Konkurrenz zu einem männlichen Liebhaber, der am Ende leer ausgeht. Cura erscheint im Film zunächst als emanzipierte junge Frau, die über eine eigene Wohnung, einen guten Job und ihre eigene Unabhängigkeit verfügt, und die sich eigentlich „frei“ bewegen könnte. Tatsächlich aber steckt sie in einem Korsett aus Ritualen, Zwängen und Neurosen, in denen ihr Kühlschrank eine zentrale Rolle spielt. Während uns üblicherweise der Inhalt eines Kühlschrank mit seinen Leckereien aus dem Schlaf lockt, ist es in States’ Film das Gerät selbst, das verführerische Qualitäten entwickelt. Jedes Mal, wenn Cura emotional aus dem Gleichgewicht gerät, sucht sie die Begegnung mit ihrem Kühlschrank. So entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis, das durchaus krankhafte Züge trägt. Die Künstlerin schafft dafür eindringliche Bilder: Innerlich – wie ein Tier auf dem Boden kriechend, sucht sie der Verführung des Kühlschranks zu entgehen, während sie tatsächlich rauchend auf ihrem Sofa sitzt. Als das lockende Brummen des Kühlschranks immer lauter und eindringlicher wird, ist sie nicht länger imstande, ihm zu widerstehen. Sie bricht innerlich zusammen und kehrt zu ihrem Kühlschrank zurück. Diesem Teufelskreis sucht Cura zu entkommen, indem sie sich im Traum in eine Szene hinein phantasiert, in der sie die Handlungen anderer bestimmt. Im vollen Besitz ihrer Stewardessen-Autorität zeigt sie in einer leeren Flugkabine, was sie kann: während sie mit lasziven Bewegungen die Sicherheitsinstruktionen demonstriert, blüht sie geradezu auf. Doch diese Befreiungsphantasie wird regelrecht im Keim erstickt, als sie von ihrer eigenen aufblasbaren Sicherheitsweste fast erdrosselt wird. Reumütig kehrt sie zu ihrem Kühlschrank zurück. Als ihr Lieb-haber noch ein Mal auftaucht – vielleicht als letzte Verbindung zur realen Welt – ignoriert sie ihn, um dann endgültig vor der Macht ihres Kühlschranks zu kapitulieren. Sie räumt ihn aus, schlüpft hinein und schließt die Tür.
Der Frigidaire ist im Film nichts weniger als eine Metapher für ein Rollenverständnis, das die weibliche Hauptfigur in ihre Grenzen zwingt, und sie in eine vermeintlich behütete Welt lockt, in der sie sich klein machen muss – einem System untergeordnet, in dem sie fremd bestimmt ist durch obsessive Ordnungsliebe, Reinlichkeitswahn und peinlich ausgeführte Rituale. Doch geht es der Künstlerin nicht darum, das patriarchale System mit seinen Diskriminierungsstrategien offen anzuprangern. Sie spielt bravourös mit den verführerischen Qualitäten der Bilder, die dieses System hervorbringt, und deutet sie in ihrem Sinne um. Die Stewardess Cura ist ihre Identifikationsfigur. Sie träumt den Traum aller großen Mädchen und scheint ihn sich bereits erfüllt zu haben: sie hat einen Traumjob, ist unterwegs in der großen weiten Welt. Schick angezogen stöckelt sie durch ihr Leben, das paradoxerweise auf enge, fast klaustrophobische Räume beschränkt bleibt: ihre penibel aufgeräumte Wohnung und die – leere – Flugkabine. Aus beiden nimmt sie Zuflucht zu einer Zwangshandlung, in der die Realität – und damit auch der reale Mann – keinen Platz haben. Um in dieser Phantasie zu bleiben, sich nicht den wirkli-chen Herausforderungen ihres Alltags und evtl. Beziehungen zu stellen, zieht sie sich am Ende in ihren Kühlschrank zurück, der genau das verheißt: ein vielleicht etwas unterkühltes, aber perfektes und beschütztes Dasein im „goldenen Käfig“ – oder wie im Film: im pastellgrünen Innenleben eines Kühl-schranks, dem sie sich sogar in der Farbe ihres mintfarbenen Kleides angeglichen hat.
Selene States schafft es auf geniale Weise all diese Aspekte in ihrer Installation zu vereinen. Frigidaire ist Filmtitel, Kühlschrankmarke und der Name der Fluglinie, mit der Cura unterwegs ist. In der Umge-staltung der Kühlschrankmarke zur fiktiven Fluggesellschaft entwickelt die Künstlerin eine Metapher für die Möglichkeit Geschlechterdefinitionen zu verschieben und zu transformieren. Das heißt, Cura wechselt zwischen der kühlen Welt ihrer Wohnung, in der sie sich bewegt wie ferngesteuert – frigide, unfähig, Gefühle und Leidenschaften zuzulassen, und in der sie den Verführungen und Manipulationen ihres Frigidaire (zu deutsch: frostige Luft) ausgesetzt ist. Auf der anderen Seite lebt sie in der Welt ihrer Flugkabine, in der sie selbstbewusst, sexy und charmant auftritt, um ihr fiktives Publikum – also uns – zu verführen. Nicht zufällig lockt uns das Anagramm „a rigid fire“ (sinngemäß: ein nicht zu bändigendes Feuer) als Leuchtschrift über der Treppe nach oben.