Super Vivaz
From shore to shore
From shore to shore reagiert auf diese Tendenzen und präsentiert für den Kunstverein konzipierte Arbeiten des Künstler*innenduos Super Vivaz, die sich für ihre Ausstellung mit den Materialkreisläufen von Kies und Beton beschäftigen.
In dem gleichnamigen Roman von Thomas Bernhard aus 1982 spielt Beton immer eine beiläufige Rolle: Als Straße, auf der man geht und auf die man fällt. Als Wohnung, in der man lebt. Als Grabstein, der sich erinnert. Zwischen Beton werden wir geboren, in ihm leben und sterben wir; bei Bernhard wird das Leben zum Dasein in überirdischen Betonbestattungskästen. Die Omnipräsenz des Materials wird in typischer morbider Manier des Schriftstellers dargestellt.
Tatsächlich ist Beton allgegenwärtig. Das Material ist ästhetisch, kostengünstig, flexibel und belastbar: Hochleistungsinfrastrukturen wie Tunnel und Autobahnbrücken wären ohne den menschengemachten Stein undenkbar. Es ist wirtschaftlich und vielseitig. Seine Kosteneffizienz verspricht zwar bezahlbaren Wohnraum, fördert jedoch auch unüberlegtes und kurzsichtiges Bauen. Seine Gewinnung ist noch immer größtenteils ressourcenhungrig, bei seiner Herstellung werden erhebliche CO2-Emissionen freigesetzt.
Ungenutzte Betonsäcke sind im Ausstellungsraum platziert. Es sind Skulpturen, die sich selbst tragen. Obwohl sie so wirken, als würden sie gleich in sich zusammensacken können, stehen sie stabil auf dem Boden des Kunstvereins. Die Säcke sind abgelaufener Beton. Trocken gelagert sind Bentonsäcke nach dem Abfülldatum maximal 12 Monate haltbar, werden sie in diesem Zeitfenster nicht verwendet, müssen sie entsorgt werden. Die Arbeiten sind Kompositionen aus Weggeworfenem, wiederverwendete Elemente der Verschwendung. Alte Säcke heißt die Arbeit, die derzeit auch als skulpturale Installation im besetzten Teil des Altdorfer Waldes bei Ravensburg zu sehen ist.
Gefundenes zu nutzen, um auf Missstände hinzuweisen, ist Teil von Super Vivaz‘ Praxis. Damit stellen sie nicht nur konkrete Fragen nach dem Verhältnis von individueller und kollektiver Verantwortung, sondern verorten ihre Arbeiten meist site-specific, beschäftigen sich also mit den Schauplätzen ihrer Kunst. So schafft das Duo es, regionale Bezüge auf weltliche Problematiken zu beziehen. Das sind zum Beispiel der Wald als Neubildungszone von Grundwasser, oder die Bauruine des utopischen Betonbaus als globales Phänomen, das weit über Friedrichshafen hinausgeht. Auch die Arbeit Kernschnitte arbeitet in dieser Manier: die Aufschnitte sind gefundene Fragmente, die das Gestein untersuchen, rundschleifen und es zu sauber aufpolierten Oberflächen ästhetisieren, wobei die Grenzen zwischen Künstlichem und Natürlichem visuell untrennbar zu abstrakten Terrazzo-Bildern verschmelzen. Die vermeintliche Transparenz durch das Sichtbarmachen seines ansehnlichen Inneren, führt zu Fragen nach der Originalität gezeigter Objekte: Als Betrachtende stellt man sich immer wieder die Frage, ob es sich bei dem Gezeigten um Beton, oder doch einen natürlichen Konglomerat-Kiesel handelt. Bei der Arbeit Menschgemachter Stein und Herrgottsbeton handelt es sich um zwei Findlinge, die über die Zeit von Fließgewässern rundgeschliffen wurden. Optisch sind die beiden Brocken kaum voneinander zu unterscheiden, doch bei dem einen handelt es sich um höchstens 100 Jahre alten Beton, bei dem anderen um das mehrere Millionen Jahre alte Konglomeratgestein „Nagelfluh“. Dieses wird in Süddeutschland umgangssprachlich auch „Herrgottsbeton“ genannt.
Die präsentierten Werke von Super Vivaz zieren den betonierten Boden des Ausstellungsraums, werden Teil der Betonwand. Auch der Kunstverein weist Spuren der Zeit auf. Denn Rückbau, Umbau, Reparatur und Instandhaltung von Beton sind aufwendig, was dazu führt, dass Bauruinen und schwer nutzbare Erscheinungen in Groß- wie Kleinstädten weltweit geworden sind. Auch in Thomas Bernhards Zitat aus Betonverkühlt sich Anna Härdtl, weil die Betonwand ihres Hotels in Palma de Mallorca nicht gepflegt wurde und Risse bekommt. Aber wie funktioniert ressourcenschonendes und kreislaufgerechtes Bauen? Und wie könnte man nutzen und pflegen, was besteht? Welche Maßnahmen ergreifen wir, um unsere öffentlichen und privaten Räume unkomplizierter zu gestalten? Und zu welchem Preis?
Super Vivaz sind Lina und Jo Baltruweit. Beide studierten an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bei Mariella Mosler und Birgit Brenner. Seit 2019 arbeiten sie unter dem Namen Super Vivaz als Künstlerduo und schlossen 2024 gemeinsam ihr Diplom ab. Ihre Arbeiten waren unter anderem in der Ausstellung Warnung vor dem Hund in der Galerie Stadt Sindelfingen (2022), sowie in Gruppenausstellungen im Taipei Fine Arts Museum, auf der art Karlsruhe, in der Sammlung Froehlich und in der Kunsthalle Tübingen zu sehen.
Kuratorin: Marlene A. Schenk
Plastic and concrete, baby
These are the facts of life
Iggy Pop, Plastic and concrete, 1993