André Butzer
Maikäfer flieg!
Der Titel Maikäfer flieg! von André Butzers Einzelausstellung im Kunstverein Friedrichshafen bezieht sich auf das berühmte deutsche Volks- und Kinderlied. Im Laufe der Zeit eigneten sich Schriftsteller, Künstler und Musiker das Stück immer wieder von neuem an. Aufgrund der Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs erlangte es traurige Beliebtheit. 1963 las Paul Celan aus den verhängnisvollen Zeilen winzige Garben Hoffnung. 1974 bezog Anselm Kiefer das Lied auf Adolf Hitlers Nerobefehl.
2023 nennt nun André Butzer seine Ausstellung Maikäfer flieg! Das Fundament seiner Malerei bilden nicht nur die künstlerischen Umwälzungen seit dem 19. Jahrhundert, sondern all die Schrecken und Versprechungen, die die industrielle Revolution und die Moderne hervorgebracht haben. Dazu gehören die nationalsozialistische Massenvernichtung ebenso wie die Prämissen des kapitalistischen Massenkonsums, Friedrich Hölderlin ebenso wie Henry Ford, Walt Disney oder Coca-Cola.
Ab 1999 entwickelt Butzer demgegenüber den Science-Fiction-Expressionismus und mit diesem sein ganz persönliches Bilduniversum, in dem sich der grundlegende Konflikt der menschlichen Existenz manifestiert – die Untrennbarkeit von Gut und Böse. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft treffen aufeinander und lassen eine fiktive, wenngleich von der Realität und persönlichem Empfinden durchdrungene Bildwelt entstehen. In dieser stehen alles Schöne und Hässliche, Glück und Unglück, alle Liebe und aller Hass, Freude und Leid als von der menschlichen Existenz untrennbare Teile gleichwertig nebeneinander.
Neben vier Aquarellen hat er drei monumentale Gemälde für den Kunstverein geschaffen. Die Bilder sind aus der Auseinandersetzung mit Edvard Munchs Zeit in Warnemünde 1907–1908 entstanden. Butzers persönliche Erfahrungen, insbesondere eine Reise in das polnische Kołobrzeg 2003, stellen weitere Bezugspunkte dar. Es sind seriell angelegte Bilder eines seiner ikonischen Charaktere: des Schandemann. Dieser verkörpert sowohl die ureigene Widersprüchlichkeit der menschlichen Existenz als auch die Zerrissenheit, die die Moderne hinterlassen hat.
Als Produkt der Massenmedien und Unterhaltungsindustrie birgt er alle Abgründe des irdischen Daseins in sich. Auf der Suche nach Frieden und einem Platz in der Welt wird er allerdings zum Wanderer. Das ist der Punkt, an dem sich die bildliche Gestalt und André Butzers Biografie überschneiden. Auch dieser ist ein Wanderer, der sich durch die Geschichte in eine unbestimmte Zukunft malt. Das eigene Bild bietet ihm die Möglichkeit, malerisch all jene Widersprüche auszuhalten, die ihn zu einem rastlosen Suchenden gemacht haben.
André Butzer
1973 geboren in Stuttgart, lebt in Berlin-Wannsee
Institutionelle Einzelausstellungen: Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid, und Kunstverein Friedrichshafen (2023); Friedrichs Foundation, Weidingen (2022); YUZ Museum, Shanghai, und Museum of the Light, Hokuto (2020); IKOB Musée d’Art Contemporain, Eupen (2018); Växjö Konsthall, Växjö (2017); Bayerisches Armeemuseum, Ingolstadt, und Neue Galerie Gladbeck (2016); Kunstverein Reutlingen (2015); Künstlerhaus – Halle für Kunst und Medien, Graz (2014); Kestnergesellschaft, Hannover, und Kunsthistorisches Museum/Theseustempel, Vienna (2011); Kunsthalle Nürnberg (2009); Kunstverein Ulm (2005); Kunstverein Heilbronn (2004)
Ausgewählte öffentliche Sammlungen: Art Institute of Chicago; Carré d’Art – Musée d’Art Contemporain, Nîmes; Children’s Museum of the Arts, New York; Deichtorhallen Hamburg; Friedrichs Foundation, Weidingen/Bonn; Hall Art Foundation, Reading/Derneburg; IKOB Musée d’Art Contemporain, Eupen; Kupferstichkabinett, Staatlichen Museen zu Berlin; LACMA, Los Angeles; Marciano Collection, Los Angeles; MOCA, Los Angeles; Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid; Nationalgalerie/Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin; Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen; Pinakothek der Moderne, München; Rubell Museum, Miami; Sammlung zeitgenössische Kunst der Bundesrepublik Deutschland, Bonn; YUZ Museum, Shanghai
Text/Kuratorin: Hannah Eckstein