Angyvir Padilla

Whispering Floors, Trembling Breaths

Whispering Floors, Trembling Breaths: Das sind flüsternde Böden und zitternde Atemzüge. In ihrem Werk arbeitet Angyvir Padilla mit dem Unvereinbaren, mit Objekten, die sie zum Leben erwecken will. Mit Whispering Floors, Trembling Breaths zeigt der Kunstverein Friedrichshafen die erste Einzelausstellung der belgisch-venezolanischen Künstlerin in Deutschland.

Whispering Floors, Trembling Breaths: Das sind flüsternde Böden und zitternde Atemzüge. In ihrem Werk arbeitet Angyvir Padilla mit dem Unvereinbaren, mit Objekten und Erinnerungen, die sie zum Leben erwecken will. Die belgisch-venezolanische Künstlerin erforscht in ihren Arbeiten Vertreibung, Migration und das Konzept von „Heimat“ durch immersive Installationen, die oft Skulpturen, Performance, Videoarbeiten und Ton umfassen. Ihre Praxis beschäftigt sich mit der Frage, was es bedeutet, ein „Zuhause“ zu haben, es zu verlieren, es zu suchen, sich danach zu sehnen und es wiederzuentdecken. Mithilfe unterschiedlichster Medien und Materialien erschafft Padilla Orte der Erinnerung und Erzählung. Ihr Ziel ist es, Verbindungen zu schaffen, die über Sprach- und Kulturgrenzen hinausgehen und den Zuschauer*innen gleichzeitig einen Einblick in ihre eigene Geschichte zu bieten. Dadurch schafft sie es, den öffentlichen Raum in einen intimen und privaten Ort zu verwandeln.
 
Die Künstlerin füttert leere Wände und Böden; sie benötigt dafür nicht mehr als schlicht zusammengeschweißte Metallstrukturen. Sie dienen als Aufhänger für ihre Motive: Fotografien sind auf Textilien gedruckt und in Paraffin getränkt. In Padillas Werkserie Home Unfoldable Home (2023) präsentiert die Künstlerin Arbeiten bestehend ausSiebdrucken und Wachs auf Stoff, die auf Stahlrahmenkonstruktionen drapiert sind. Die Werke breiten sich auf dem Boden mitten im Raum aus; sie stehen im Weg und verhindern das Weitergehen. An den Wänden montiert, scheinen sie sich alle Ecken des Ausstellungsraums zu eigen gemacht zu haben. Auf dem Boden bilden sich verhärtete Wachspfützen, sie sind konkrete Spuren. Als Betrachter*in gibt es viele Arten und Weisen, die Installationen zu begutachten. Steht man unmittelbar vor den Arbeiten, so scheinen die abgebildeten Motive, die durch das Paraffin auch immer halb verdeckt werden, fast zu verschwommen, um etwas erkennen zu können. Sie zeigen ein Archiv von verblichenen Fotografien. Diese Bilder wurden von ihrer Mutter in der gemeinsamen Wohnung in Caracas aufgenommen. Es braucht den Abstand zu den Arbeiten, um Umrisse des Abgebildeten wahrzunehmen. Hier ist es die Spur, die das Fotografische Medium auf den Objekten von Padilla hinterlässt. Die harten Paraffinpfützen, die stabilen und gleichzeitig unheimlich fragilen Körper, die unerkenntlichen fotografischen Motive – in Padillas Werk schwingt immer auch diese Paradoxie mit: Die nostalgische Unwiederholbarkeit von Zeit. 
 
Mit La Casa Habitada zeigt der Kunstverein Friedrichshafen eine in situ Installation der Künstlerin, die teilweise in Caracas erarbeitet wurde. Für die raumspezifische Installation erschafft Padilla einen Lebensraum bestehend aus Elementen, die an ein Zimmer in einem Zuhause erinnern – und damit die konsequente Fortführung ihrer Praxis. Auch hier spielt sie mit dem fotografischen Gedächtnis: Die Abbildungen werden auf dekorative Textilien und Gebrauchsgegenstände gedruckt, werden zum Bettbezug oder Frotteehandtuch. Die Einrichtung transformiert sich zu einem ungewöhnlichen Szenario: Auf verwaschenen Kissenbezügen sehen Betrachter*innen der Ausstellung private Momente aus einem anderen Leben und dringen damit im Ausstellungsraum in eine intime Welt der Künstlerin ein. Manche dieser Objekte werden dekorativer Teil des Raumes und der zart getönten Wände, schmücken Nachttisch und Regal. Padillas verblichene Fotografien sind auch hier materialisierte Erinnerungsobjekte, sozusagen der Korpus dessen, was bleibt. Aber diese Erinnerungen werden durch ihre konkrete Nutzbarkeit nun im Gegensatz zu der Arbeit Home Unfoldable Home in La Casa Habitada zu einem tatsächlichen Objekt. 
 
Gleichzeitig scheint immer etwas unausgepackt. Wie viele Erinnerungen trägt man mit sich herum? Eins ist sicher: sie werden mitgeschleppt, sie sind das Zeichen der Vertriebenen. Immer mobil und unterwegs bleiben diese Objekte dennoch ein Teil von jemandes „Zuhause“. 
Funktional und veredelt steigert sich das Präsentierte in den Arbeiten von Padilla von einem Nutzungsobjekt zu einem heiligen Andenken: die Künstlerin rekonstruiert einen Lebensraum und überführt ihn von der Realität in eine traumhafte Landschaft, die aus Vergangenheiten und Wünschen besteht. Angyvir Padilla untersucht, wie sich diese Themen in unserer Beziehung zu intimen Räumen, persönlichen Objekten und unserer Verbindung zu Leben und Erinnerung manifestieren. Das Gefühl der Sehnsucht nach einem verlorenen Zuhause, sei es aufgrund ihrer eigenen Diaspora oder der Schnelllebigkeit des modernen Lebens, ist ein wiederkehrendes Motiv in ihrer Arbeit. Das Zimmer wird zu einem Raum, der sich zwischen dem (kollektiven) kulturellen Gedächtnis Lateinamerikas, und einer Form persönlichen Erinnerns (an die Liebe, an Nähe) erinnert.(1) Die Objekte werden gelebte Stabilität, das Haus Zuflucht und Schutz, jedes Textil Intimität und Spiegelbild der inneren Welt: Orte bergen Erinnerungen, die aber auch dabei helfen können, neue Ort zu schaffen, sie zu er- und beleben. 
 
Die Materialien und Medien sind für die Künstlerin nicht nur Werkzeuge, sondern wichtige Bestandteile ihres kreativen Prozesses, die mit der Absicht ausgewählt wurden, die Transformation von Erinnerungsmaterie in verschiedenen Zuständen zu vermitteln. Padilla verwandelt alltägliche und prekäre Objekte in materialisierte Erinnerungen und aktiviert damit nicht nur die Dinge selbst, sondern auch die Räume, die sie bestückt. Das alles tut sie in der Absicht, Momente einzufrieren, sie zu verhärten und zu verewigen. Obwohl sie dieses Vergangene durch diese Konservierung dokumentiert weiß, findet sich in ihren Arbeiten gleichzeitig das Ephemere, das Verschwindende, das eine sofortige Erlöschung dieser fetzenhaften Momente ankündigt. 
Angyvir Padilla spielt mit den Eigenschaften ihrer gewählten Materialien, verfremdet sie: Wo die Bettdecke eigentlich leicht und komfortabel erscheinen soll, wird sie gedankenschwer, das Gewicht der Geschichte lastet auf ihr. Wo verblichene und zurückgelassene Kindheit schwer wiegen, stellen sich andere Erinnerungen einem in den Weg, um Beachtung zu finden. Dann wiederum hängen sie über Metallstrukturen wie vergessene Spültücher. Die unausweichlichen Abdrücke, die sich im Leben einbrennen, finden hier ihre Form. Hier und Dort, Vergangenheit und Gegenwart, Flüchtiges und Festes, verbinden sich. Was bleibt, sind nicht nur die Gegenstände. Materialisierte Erinnerung stellt sich vielmehr neben andere Eigenarten, die Erinnerung an sich hat: sie läuft durch Gänge, verteilt sich in der Luft, sie zittert und bebt; ein schwerer Atem.
 
 
(1)Nora Zapf: Angestellte des Vergessens. Rezension zu Rafael Cadenas: Klagelieder im Gepäck. Gedichte. Aus dem venezolanischen Spanisch von Geraldine Gutiérrez-Wienken und Marcus Roloff. Köln (parasitenpresse) 2018. 

Padilla erforscht in ihrem Werk Vertreibung, Migration und das Konzept von Heimat durch immersive Installationen, die oft Skulpturen, Performance, Videoarbeiten und Ton umfassen. Ihre Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, was es bedeutet, ein Zuhause zu haben, es zu verlieren, es zu suchen, sich danach zu sehnen und es wieder zu entdecken. Mithilfe unterschiedlichster Medien und Materialien erschafft Padilla Orte der Erinnerung und Erzählung, ihre Praxis lädt uns dazu ein, einen genaueren Blick auf die uns alltäglich umgebenden Orte zu werfen, an denen wir leben. Ihre Absicht ist es, Verbindungen zu schaffen, die über Sprach- und Kulturgrenzen hinausgehen und den Zuschauer*innen gleichzeitig einen Einblick in ihre eigene Geschichte zu bieten. Dadurch schafft Padilla es, den öffentlichen Raum in einen intimen und privaten Ort zu verwandeln.

Der Kunstverein Friedrichshafen präsentiert mit Whispering Floors, Trembling Breaths zwei Werkgruppen der Künstlerin, die Arbeiten Home Unfoldable Home und La casa habitada, welche als in-situ Installation für den Ausstellungsraum erarbeitet worden ist.