Kaoru Usukubo
Crystal Voyage
Wir sehen uns gegenüber von Bildern einer jungen japanischen Malerin, die diese in altmeisterlicher Technik – einer zeitaufwändigen, fast möge man sagen „unzeit-gemäßen“ Maltechnik ausgeführt hat. Es ist eine Malerei von höchster Präzision und größter Sensibilität, die so plastisch erscheint, als könnten die Motive gleichsam aus dem Bild heraustreten. Dass uns diese technisch brillante Malerei fasziniert, ist schön und von besonderem Reiz, doch darf dieser Reiz nicht darüber hinwegtäuschen, dass der künstlerische Ausdruck und die konzeptuelle Stärke Kaoru Usukubos tiefer reichen.
Die heute an der Tokyo University of the Arts lehrende Künstlerin wurde 1981 im japanischen Tochigi geboren und gehört damit zu einer jungen Künstlergeneration, die sich nicht zuletzt mit den lebhaften Tendenzen auseinandersetzt, wie sie von so unter-schiedlichen Künstlern, wie Leiko Ikemura (*1951) und Yoshitomo Nara (*1959) für die Entwicklung der zeitgenössischen japanischen Malerei angeregt wurden. Diese ältere Generation arbeitete bereits in den 80er Jahren mit Motiven, die sich der virtuellen Welt digitaler Bilder ebenso bediente wie der Comics und Mangas einer subversiven Jugend-kultur, die ihrerseits kritisch und ironisch auf japanische Konventionen reagierte.
Auffällig ist, dass immer wieder kindliche Figuren in dieser Malerei auftauchten: Kinder, die alleine sind und selten mit der Außenwelt in Kontakt treten. Kinder mit geschlossenen Augen, die wie angewurzelt auf einem Fleckchen Erde stehen – nachdenklich, melancholisch. Vielleicht, weil sie „stumme Anklage erheben gegen eine Welt, die sie so allein lassen konnte“, wie Stephan Trescher es formuliert. [1]
In Usukubos Gemälden treffen wir ausschließlich auf Kinder, die seltsam abwesend sind – in sich gekehrte, stille Wesen, die ganz auf sich gestellt scheinen. Mit abgewandtem Blick oder geschlossenen Augen konzentriert sich ihre Aufmerksamkeit ganz auf die eigene Welt, von der die Erwachsenen – und damit auch wir als Betrachter – ausgeschlossen sind. Nicht selten erscheinen sie überlebensgroß, so als wollten sie – anders als in der Realität – unsere Aufmerksamkeit ganz für sich und ihr Spiel einnehmen. So bezieht sich auch Kaoru Usukubo auf japanische Traditionen und beschäftigt sich zugleich mit den technisch immer raffinierteren Bildwelten aus Filmen oder Computer-spielen. Damit offenbart sich in ihrer Kunst ein prekäres Verhältnis zwischen der realen, dreidimensionalen Wirklichkeit und dem künstlich generierten Raum einer virtuellen Realität. Als Betrachter sind wir versucht, den Dingen eine Bedeutung zuzuweisen, ihren Geschichten auf die Spur zu kommen. Doch Usukubos Bilder bleiben rätselhaft.
Bevor Usukubo ihre neue Serie schuf, die wir mit dem großen Triptychon und auf der Empore zeigen, malte sie Bilder wie Unidentified Place Logist (2008) oder He can’t remember her name (2008). Es ist eine künstliche Welt mit gefalteten Papiertieren, -fliegern oder -blumen. In den Augen der Kinder wird sie zur Wunderwelt. Es genügt der Blick durch einen Kringel oder die Linse einer Kamera, um sie zu dem zu machen, was sie sein könnte: Entweder ein Klassenzimmer oder ein Hafen mit weißen Segelbooten, so einer von Usukubos Bildtiteln. Doch auch die scheinbar poetische, bunte und friedliche Welt ihrer früheren Gemälde existiert nur in Form von Papier. Die Kinder in ihren Bildern sind allein, in Schuluniform, meist im geschlossenen Raum. Lediglich ihr Haar, das sich wie Tentakeln nach oben schlängelt, legt eine gewisse, ungebändigte Eigenwilligkeit an den Tag. Natur – im Sinne einer romantischen Projektion – als Freiraum und Inspirationsquelle für den menschlichen Geist und als Ort, sich endlich einmal auszutoben, gibt es hier nur als Verweis in Gestalt gefalteter Kunstprodukte. Die reale Natur wirkt in Usukubos Bildern von Anfang an unwirklich, fern – wie eine Phantasie. Das Meer, der Strand – ein Kindheitstraum.
Nach der Katastrophe von Fukushima jedoch zeigt die „Natur“ in ihrer Malerei ein anderes Gesicht – schroff und abweisend, dunkel, überschattet von einem Unheil, das bereits über uns hereingebrochen ist oder vielleicht auch erst noch kommen mag. The Proof of Prophecy …. Dieses Hauptwerk ihrer neuen Serie wird in unserer Ausstellung begleitet von vier kleineren Arbeiten. 2 to 3 beispielsweise zeigt eine Glückwunschkarte mit dem Motiv eines üppigen Blumenstraußes, wie wir sie aus dem 19. Jahrhundert kennen. In Japan erfreuen sich solche Darstellungen auch heute noch besonderer Beliebtheit. Doch was Usukubo uns hier zeigt, ist nicht die schöne Seite eines Geschenk-artikels. Vielmehr interessiert sie dessen Innenleben, das mit seinem zerknüllten und zerrissenen fliederfarbenen Futter eine weitere subtile Metapher sein könnte, für eine kaputte, verlorengegangene Welt. Menschen tauchen in diesen Bildern gar nicht mehr auf, auch keine Kinder. Die einsame Insel bleibt einsam – ohne Vegetation, ohne kindliche Besucher, die freiwillig oder unfreiwillig auf sie gestoßen sind und ihre Spielsachen zurückgelassen haben.
Was wir vor uns sehen ist eine Kunst, die vielleicht gerade durch ihre subtilen Brüche, ihre Widersprüche und Leerstellen eine Weigerung ausspricht, die brutalen Konsequenzen einer eben nicht mehr virtuellen Realität durch vordergründige Harmonie zu leugnen.
Andrea Jahn
[1] Stephan Trescher, Ein Porträt des Künstlers als junger Hund, in: Yoshitomo Nara – Lullaby. Supermarket
(Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2001) S. 73 f.
Kuratiert von Dr. Andrea Jahn